Warum Deutschland seine Innovationskultur aufs Spiel setzt – und was wir dagegen tun können

Gepostet am 20/12/2018 by jschaub
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Beitrag von Matthias Schorer, Lead Business Development Manager, IoT, EMEA bei VMware 

Man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass Deutschland einmal das Land der Erfinder und Entwickler war. Vom Dieselmotor bis zur Zündkerze, vom Aspirin bis zur Zahnpasta, vom Spreizdübel bis zum Radar – alles Erfindungen, die die Welt veränderten. Doch heute ist es aufgrund zahlreicher Gesetze und Vorgaben und aufgrund einem nachhaltig veränderten Denkweise eben nicht mehr so, dass deutsche Startups und Großunternehmen den Takt vorgeben, der die Welt verändert – von Ausnahmen wie dem Hyperloop einmal abgesehen, der die selbe Technologie nutzt wie der gute, alte Transrapid. Von dem habe ich übrigens als kleiner Junge zum ersten Mal 1971 gehört. Längst sitzen heute die Vordenker im Silicon Valley, in Israel, Schweden und zunehmend in Hongkong und China.

Im Innovationsranking der Boston Consulting Group findet sich unter den 25 innovativsten Unternehmen weltweit gerade einmal zwei deutsche Unternehmen (Siemens und BASF auf Platz 21 und 23), beim vergleichbaren Forbes-Ranking kein einziges unter den Top 100. Warum das so ist? Hier sind einige Gründe, die meiner Meinung nach aufzeigen, warum Deutschland seinen wirtschaftlichen Wohlstand aufs Spiel setzt und andere Staaten in Sachen Innovation die Nase vorn haben

1️⃣ In die Digitalisierung investieren: Hier ist Deutschland allenfalls Mittelmaß unter den Industrieländern. So belegt Deutschland im Digitalisierungsindikator des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) mit Platz 17 nur einen Platz im Mittelfeld. Und damit meine ich nicht nur den flächendeckenden Ausbau des Gigabit-Internet, der im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung steht – als Ziel für 2025. So wichtig und notwendig der Breitbandausbau ist, gibt doch noch wichtigere Baustellen für die Digitalisierung. Es geht beispielsweise darum die digitalisierte Verwaltung voranzubringen, die nicht durch unser kleinteilig-föderales System gehindert wird, um Smart Cities mit zukunftsweisenden Verkehrskonzepten und um die Möglichkeit, Geschäfte digital abzuwickeln und IT-basierte Arbeit von jedem Ort des Landes aus abzuwickeln.

 

2️⃣ Mobile Infrastruktur schaffen: Noch schlimmer sieht es bei den Mobilfunknetzen aus, die vor allem im ländlichen Raum, aber auch in der Nähe der Verkehrsadern wie Autobahnen und Bahnstrecken oft noch beträchtliche Lücken aufweisen. Das Fehlen funktionierender UMTS- und LTE-Netze hindert uns „nur“ daran, überall ins Internet zu kommen, das Fehlen flächendeckender 5G-Netze wird in einigen Jahren ein echter Standortnachteil sein – dann nämlich, wenn sämtliche Maschinen und Hausgeräte, sämtliche Fahrzeuge und Health Devices eine schnelle Internetverbindung voraussetzen. Deswegen geht es eben gerade auch nicht darum, 5G-Netze dort zu schaffen, wo Menschen leben, sondern flächendeckend überall in unserem Land. So musste ich neulich lesen, dass die großen Telekom-Anbieter in Deutschland eben nicht planen, das für IoT so wichtige 5G Netzwerk flächendeckend auszurollen, sondern dass sie sich zunächst auf die Ballungsräume konzentrieren wollen. Das heißt mit anderen Worten, dass die vielen Kleinbetriebe und Mittelständler Deutschlands wieder leer ausgehen, wie zuvor schon beim „schnellen“ Internet. Denn ihr Fabriken sind meist eben nicht in den Ballungsräumen angesiedelt.

 

3️⃣ Deutschland muss wieder Technologievorreiter werden: War früher beispielsweise der deutsche Maschinenbau, die Chemie- und Pharmasparte und die Automobilindustrie weltweit angesehen, verschlafen wir heute wichtige Entwicklungen, beispielsweise im Bereich der E-Mobility und der dazugehörigen Akkutechnologie. Wussten Sie, dass alle deutschen Autohersteller bereits in den Jahren 1992 bis 1996 auf Rügen einen großen Feldversuch zur Elektromobilität durchgeführt haben? Wäre dieser Ansatz damals zielstrebig weiterverfolgt worden, so müssten deutsche Autobauer sich weder vor Tesla und den chinesischen Herstellern fürchten, noch gäbe es Diskussionen über Dieselfahrverbote und Feinstaubwerte. Die Politik sollte wichtige Technologiebereiche viel gezielter fördern und insbesondere im TIMES- und MINT-Bereich die nötigen Förderprogramme initiieren.

 

4️⃣ In Bildung und Schule investieren: Doch Innovationsfähigkeit hat auch viel mit dem Bildungssystem zu tun. Unser Schulsystem fördert nicht mehr in erste Linie freies Denken, sondern setzt auf Lernkonzepte aus dem vorigen Jahrhundert. Zu wenige Lehrer, ein desolater Zustand vieler Schulen und veraltete Lernmaterialien sorgen für Frust bei Schülern und Lehrern gleichermaßen. Das trägt dazu bei, dass Staaten In Skandinavien, im Baltikum, im asiatischen Raum und in vielen aufstrebenden Märkten innovativer sind als wir. Nachhaltige Investitionen in unser Bildungssystem sind daher essentiell wichtig und sind eine unschätzbare Dividende in Form innovativer Erwachsener die es hervorbingen kann. Wer schon einmal die Chance hatte, die Stanford Universität in den USA zu besuchen, wird verstehen, was ich meine. In dieser Umgebung kann man förmlich den Erfindergeist spüren, der hier hervorgebracht wird! Hiermit will ich aber mitnichten sagen, dass private Universitäten mit horrenden Studiengebühren die Lösung des Problems sind. Es geht hier vielmehr um das Mindset das hier gelehrt wird und die offene, zur Innovation einladende Umgebung, das hierzulande auch durch mit Steuergeldern finanzierten Universitäten bereitgestellt werden könnte! Aber es ist eben eine drastische Änderung des Schulsystems notwendig!

 

5️⃣ Gründergeist und Innovation fördern – gerade in jungen Jahren: Nichts gegen Latein und Literatur, Bildende Kunst und Philosophie – aber was an unseren Schulen viel zu wenig vermittelt wird, sind Entrepreneurship und ökonomisch-innovatives Denken, das Hinterfragen des Status Quo und unternehmerische Kreativität. Nicht jeder 15-Jährige muss ein Startup gründen, aber Jugendliche, die diese Neigungen aufweisen, sollten dahingehend gefördert werden – doch welcher Lehrer kann so etwas leisten? Die Lehrpläne sind zu starr und auf die nächste Klassenarbeit ausgerichtet. Und das geht noch einen Schritt weiter: Erst nach und nach werden Unternehmertum und Gründergeist an den deutschen Hochschulen vermittelt. Erst wenn dies flächendeckend der Fall ist, werden die nächsten Gründer à la Mark Zuckerberg, Bill Gates oder Sergey Brin vielleicht in München, Berlin oder Karlsruhe den Grundstein für ein Weltunternehmen legen.

 

6️⃣ Innovate, learn, repeat – auf das Mindset kommt es an: Denn eng mit Deutschland verbunden ist eine Mentalität, die Scheitern mit (unternehmerischen) Ideen immer noch als großen Makel und geradezu Schande wahrnimmt. Gesünder wäre die in vielen Ländern verbreitete Lesart, dass vor allem der Wille, etwas zu bewegen, gewürdigt und respektiert wird – auch wenn sich eine Idee mal als wenig erfolgreich erweist. Was in den USA allzu selbstbewusst als Fuckup-Night zelebriert wird, auf der Gründer von ihren größten Misserfolgen berichten, sollte bei uns zumindest in Ansätzen Einzug halten: das Bewusstsein, dass es besser ist, Dinge auszuprobieren als Ideen aus Furcht gleich zu verwerfen. Das geflügelte Wort des „Reichbedenkenträgertums“ ist hier leider in vielen Firmen noch vorherrschend.

 

7️⃣ Nachhaltigen Bürokratieabbau wagen: Wer ein Unternehmen gründen will, bekommt als erstes die immense Bürokratie in Deutschland zu spüren. Während hierzulande eine Unternehmensgründung im Schnitt rund zwei Wochen dauert, ist sie beispielsweise In Estland oft binnen weniger Stunden erledigt und funktioniert mit digitaler E-Residency und bargeldlos. Auch verzweifeln viele Gründer an der Komplexität des deutschen Steuer- und Verwaltungsrechts und an den zahlreichen Dokumentations- und Nachweispflichten. Nehmen wir als Beispiel die „allseits beliebte“ Reisekostenabrechnung. Wer um alles in der Welt erlaubt sich festzusetzen, dass die Auslandsreisepauschale z.B. für Atlanta 62€, jedoch für San Francisco nur 51€ pro Tag beträgt? Jeder der schon einmal versucht hat, egal in welche Stadt in den USA, zu frühstücken, weiß, dass der Tagebetrag schon von dieser ersten Mahlzeit des Tages größtenteils aufgebraucht wird! Ich beneide immer meine Kollegen aus dem Rest Europas und der Welt, die eben simpel einfach das absetzen, was sie auf der Reise tatsächlich verbraucht haben. So einfach kann das sein! Wir brauchen einen radikalen Abbau bürokratischer Hürden – digitale Prozesse und eine smarte Vernetzung von Services würden das durchaus ermöglichen.

 

8️⃣ Ein zeitgemäßes Datenschutzrecht muss her: Die EU-weit geltende Datenschutzgrundverordnung hat, trotz guten Willens, für mehr Verwirrung und eben nicht für mehr Selbstbestimmung über die eigenen Daten gesorgt. Und sie behindert dringend überfällige Innovationen wie eine digitale Gesundheitsakte oder digitale Geschäftsabschlüsse. Doch damit nicht genug: Die im kommenden Jahr anstehende E-Privacy-Verordnung ist nach der DSGVO auf europäischer Ebene das zweite Gesetzesungetüm, das auf uns zurollt und dazu beitragen wird, dass die deutsche und europäische Wirtschaft (nicht nur die Digitalwirtschaft) weiter ins Hintertreffen gerät. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht oder gelungen.

 

9️⃣ Zeitgemäße Arbeitskonzepte für die Lebensentwürfe des 21. Jahrhunderts: Wir brauchen Konzepte, die dem familiären Gegebenheiten, dem Diversity-Gedanken und den heutigen Lebenswirklichkeiten gerecht werden. Das fängt mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (für beide Elternteile!) an, geht über ausreichend Kindergarten- und Hortplätze und endet noch lange nicht bei der Flexibilität von Arbeitszeit und –ort. Ein Großteil der heute zu verrichtenden geistigen Arbeit kann dank ITK-Technologie vom Home Office genauso gut ausgeführt werden wie im Büro, auf einer Konferenz oder im Hotel. Wir können es uns angesichts des in vielen Berufsfeldern vorhandenen Fachkräftemangels einfach nicht leisten, Know-how brach liegen zu lassen.

 

?Deutschland muss mehr Mut entwickeln. Das bestätigt auch Company Scout Konstantin Krauss von German Accelerator Tech: „Wenn man es als junger Gründer trotz aller bürokratischer Hürden geschafft hat sein Startup auf die Beine zu stellen, kommt bereits die nächste Schwierigkeit auf einen zu: Einen Investor zu finden. Deutsche Investoren sind konservativ, äußerst kritisch und hinterfragen jedes Detail des Businessplans. Es wird mehr in existierende Traktion investiert als in weltverbessernde Visionen. So entsteht kein deutsches Uber. Deutsche Investoren bremsen gewagte Innovation statt ihr Vorschub zu geben.“

 

Aber, es ist nicht alles schlecht! Eine Studie des Weltwirtschaftsforums hat die Wettbewerbsfähigkeit in 140 Ländern verglichen und kommt zu einem beeindruckenden Fazit: Deutschland landet weltweit auf Platz 3, direkt hinter den USA und Singapur. Ausschlaggebend waren unter anderem die Zahl der angemeldeten Patente sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen und die Zufriedenheit der Kunden mit den Produkten der jeweiligen Unternehmen. Die äußerlichen (wirtschaftlichen) Rahmenbedingungen sind also da. Wenn wir dieses Potenzial nutzen, werden wir mittelfristig weiterhin den Spitzenplatz halten können, den Deutschland in diesem Bereich jahrelang innehatte.

 

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Kategorie: Neuigkeiten & Highlights

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